Evangelische Kirchengemeinde

Aktuelles

„Wir danken Gott für seinen Segen, den er uns vielfältig auch nach schwierigen Etappen immer wieder geschenkt hat.“

Kanzelrede in der Evangelischen Kirche zu Hilgenroth 

Dr. Stefan Roßbach

3. November 2024 

 

Zunächst möchte ich mich bedanken, bei Ihnen Herr Pfarrer Triebel-Kulpe, Herr Pfarrer Volk und auch beim Presbyterium der Gemeinde, dass ich die Möglichkeit bekommen habe, einmal vor Ihnen allen zum Thema „Bergbau“ sprechen zu dürfen. Ich bin selbst ein Kind dieser Kirchengemeinde und mit und in dieser Kirche groß geworden. Die Lehren und Worte unseres – auch hier – vermittelten gemeinsamen Glaubens- und Werteverständnisses tragen mich bis heute durch meinen bergmännischen Berufsalltag. Ich bin heute, in der Zeit des sogenannten Nachbergbaus, also im Jahr sechs nach Einstellung der Steinkohleförderung in Deutschland bei der RAG AG (Ruhrkohle) verantwortlich für die tiefe Grubenwasserhaltung, die als Ewigkeitsaufgabe in die Bücher der Nachbergbauära geschrieben wurde. Aber ich habe auch die aktive Zeit des Bergbaus noch erleben dürfen, damals als Fahrsteiger unter Tage, und will davon berichten…

 

 

Liebe Gemeinde von Hilgenroth, In meiner Gemeinde darf ich heute über Gemeinschaft sprechen, dass passt, gleicher Wortstamm, und das ist aktueller denn je.
Ich darf Sie hiermit herzlich zu meiner Kanzelrede begrüßen und tue das, meines Berufsstandes entsprechend, mit unserem Bergmannsgruß

GLÜCKAUF!

Ich möchte heute nicht über gewaltige Maschinen, hochoptimierte Spitzentechnologie in Abbau- oder Vortriebsprozessen im untertägigen Bergbau berichten, oder die Aufgaben der Nachbergbauzeit. Ich möchte vielmehr sprechen über den sozialen Umgang der Bergleute untereinander, über Tugenden und Wertvorstellungen die zu einer – wie ich glaube – einzigartigen Gemeinschaft in einem uralten Berufsstand geführt haben. Einer Gemeinschaft, die durch Zusammenhalt geprägt ist und auf lange gewachsenen Grundwerten basiert, die gerade in heutiger Zeit ein Stück weit Vorbild sein können für unser soziales Miteinander – gerade mit Blick auf die Geschehnisse in der Welt. Die Kirche und ihr christliches Werte- und Lebensverständnis haben dabei einen erheblichen Einfluss auf diese Entwicklungen genommen, Glaube – egal welcher – und Bergbau sind seit jeher eng miteinander verbunden.

Dazu im Folgenden mehr, es gilt zunächst, ein Stückweit in die Historie des Bergbaus zurückzublicken. Nicht nur im Ruhrgebiet, sondern auch hierzulande, im Westerwald, hat der Bergbau ja bekanntlich eine lange Tradition gehabt und war ein bedeutender Motor der damaligen Wirtschaft in der Region. Gerade
wurde ja im benachbarten Eichelhardt dem Erzbergbau noch einmal gedacht, im Rahmen der 350-Jahrfeier des Bestehens der Grube Petersbach, 1937 geschlossen war die Grube rund 260 Jahre in Produktion.

Liebe Gemeinde,
der Ruf der Bergleute „GLÜCKAUF“ ist hierzulande schon lange verhallt. Im Ruhrgebiet und in anderen aktiven Bergbauregionen dagegen heute noch rezent. Im Nachbergbau sowieso, denke man aber auch beispielsweise an die Heimspiele eines königsblau-weißen Fußballvereins aus Gelsenkirchen, die
Zuschauer werden mit „GLÜCKAUF“ willkommen geheißen, gleichzeitig wird das Steigerlied abgespielt, der Tradition folgend. ((Für Schalke hat das aber momentan nicht viel mit Glück zu tun)).
In seiner Entstehung geht der Bergmannsgruß auf das 16. Jahrhundert zurück. Er drückt in zweierlei Hinsicht Zuversicht und Hoffnung der Bergleute aus, die sich einerseits begründet aus der Hoffnung nach reichhaltigen Erzgängen („es mögen sich Erzgänge auftun“). Denn beim Abbau von Erzen ließ sich ohne Prospektion nur unsicher vorhersagen, ob die Arbeit der Bergleute überhaupt zu einem Lohn führen würde. „Vor der Hacke ist es duster“, besagt ein alter Bergmannspruch.
Desweiteren liegt eine wesentliche Bedeutung des Bergmannsgrußes auf dem Wunsch, am Ende der Schicht wieder heil und gesund das Tageslicht zu erblicken. Für beides braucht es ein gewisses Maß an Glück – Glück, dass nicht allen Bergmännern gewährt war. Tödliche und schwere Unfälle waren sehr häufig und haben immer großes Leid über Familien und Angehörige gebracht, viele Männer sind im Berg verblieben.

Mein hoch geschätzter Onkel Helmut Henn von der Helmerotherhöhe, der als Elektromaschinenbaumeister beim RoBi in Hamm noch nahezu alle Gruben hier im Westerwald befahren hat – damals wurden die Motoren und Transformatoren noch unter Tage gewickelt – hat oft erzählt von den widrigen, schweren und gefährlichen Arbeitsbedingungen unter Tage hier im Erzbergbau.

Ich habe heute höchsten Respekt vor dem, das diese Männer geleistet haben. Und nach der Schicht, nicht selten mehr als 10 Stunden, ging es dann, oft in einem langen Fußmarsch nach Hause, und dann in den Stall oder aufs Feld, um die Versorgung der Familien sicherzustellen – der landwirtschaftliche Nebenerwerb, der aber existenziell lebensnotwendig war in den entsprechenden Zeiten.

Glaube und Bergbau – Die Bergleute der alten Zeit waren, bedingt durch ihren gefährlichen Beruf sehr abergläubisch. Als ein Relikt des Mittelalters glaubte man an Berggeister, an dunkle Mächte aus den Tiefen der Erde, an höllische Dämonen, die den Bergleuten Böses wollten. Der Schein der Grubenlampen in Verbindung mit dem blanken Fels, den die Bergleute freilegten, ließ Schatten entstehen, die entsprechend interpretiert wurden. Nebenbei: auch die Anwesenheit von Frauen unter Tage war „unglücksbehaftet“, dem Aberglauben zufolge bis ins 20. Jahrhundert hinein (in Österreich und der Schweiz ist das übrigens heute noch so).

Der Einfluss der Kirche führte dann letztlich dazu, dass der Aberglaube von der Verbreitung der christlichen Lehre nach und nach verdrängt wurde. Dabei hat aber auch die Wissenschaft einen entscheidenden Beitrag geleistet, durch Erkenntnisgewinn an statischen, geologischen und gebirgsphysikalischen Zusammenhängen. Den Streckenbruch unter Tage lösen Gebirgsspannungen aus, wenn sie nicht technisch beherrscht werden und eben nicht der Berggeist.

Letztlich hielt auch das Kreuz Einzug in den Lebensalltag der Bergleute. Nach Ende der Schicht und nach der Ausfahrt aus der Grube zum Tage legten die Bergleute ihr Gezähe, so heißt das Werkzeug der Bergarbeiter (Hammer und Meißel), als Zeichen der Gottesfurcht und der Dankbarkeit, das Tageslicht wieder erblickt zu haben, zum Kreuze übereinander. Schlägel und Eisen, dieses Symbol des Bergbaus hat heute internationale Gültigkeit und ist in Deutschland sogar DIN-genormt. Die Handarbeit mit Schlägel und Eisen war über Jahrhunderte die einzig dauerhafte Technik zum Vortrieb von Stollen, Strecken und Schächten durch das feste Gestein – eine mühevolle und unfallträchtige Arbeit. Erst im 17. Jahrhundert verdrängte die Sprengarbeit mit Schwarzpulver diese manuelle Arbeit.

Schlägel und Eisen symbolisiert also konkret die Verbundenheit von Glaube und Bergbau. Und so finden sich auch weitere Symbole in der bergmännischen Tradition, die dies zeigen, man denke beispielsweise an die Schwibbögen, die jetzt bald wieder zur Weihnachtszeit aufgestellt werden: Dargestellt sind zumeist Engel und Bergmann – sie gehören zusammen.

Die Lehre vom Kreuz und das Erbitten eines gesunden Schichtendes wurden angesichts der schweren und gefährlichen Arbeit im Schicht- oder Berggebet vor und/oder nach der Schicht zelebriert – zur Erbauung der Bergleute und zur Abwendung drohenden Unheils in der Grube. In einigen Bergrevieren hielt sich dieser Brauch über Jahrhunderte, die Teilnahme der Bergleute war örtlich bis ins 20. Jahrhundert hinein Kraft berggerichtlicher Anordnung sogar zwingend vorgeschrieben. Bei Nichterscheinen wurde den betreffenden Bergleuten ein Teil des Lohns abgezogen.

Das Morgengebet vor der Anfahrt in die Grube hatte dabei natürlich auch den Zweck, dass die schichtführenden Steiger die Anwesenheit der Bergleute kontrollieren und anschließend die Arbeit einteilen konnten – hatte also auch einen durchaus betriebswirtschaftlichen Sinn. Die Verpflichtung zum Schichtgebet wurde zu Anfang des 20. Jahrhunderts abgeschafft.

Im Steinkohlenbergbau im Ruhrgebiet konnte sich der Brauch des Schichtgebetes, bedingt durch den wirtschaftlichen Druck, zu keiner Zeit richtig durchsetzen. Der Wiederaufbau nach den Weltkriegen zum Antrieb der Wirtschaft, gepaart mit der Tatsache, dass gerade im Ruhrgebiet mittlerweile viele unterschiedliche Nationalitäten und damit Religionen in Bergbau und Stahlindustrie beschäftigt waren, ließen eine Fortführung der Gebetstradition, ob erzwungen oder freiwillig, offenbar nicht zu.

Für die Gebete wurden Betstuben, Betsäle oder ganze Bethäuser eingerichtet. Makaber ein Beispiel an der Stelle aus dem Erzbergbaurevier im Oberharz: um den Bergleuten zu verdeutlichen, dass unter dem Tage allgegenwärtig Gefahr und Tod lauern, waren Gebetsstuben in polygonaler Holzbauweise ausgeführt – polygonal: die Decke der Stube glich einem Sargdeckel. Das sollte die Bergmänner zur Achtsamkeit motivieren.

Die Gefahren des untertägigen Bergbaus und die Erbetung vor dem Bewahren eines Unheils finden sich in vielen überlieferten Berggebeten. Hier kommen meistens die Urängste der Bergleute zum Ausdruck – die größten Feinde des Bergmanns sind seit jeher Feuer und Wasser.

 

„Wir richten, eh’ wir niederfahren,
Den Blick, o Gott empor zu Dir.
O woll uns, Herr, getreu bewahren,
Laß wiederkehren uns nach hier.

Schließ auf den Stollen deiner Liebe,
Den finstren Schacht, in dem wir bauen.
Schirm uns vor Ort und im Betriebe,
Laß fromm und treu uns Dir vertrauen.

Herr, segne Streben, Schacht und Stollen,
Bewahre uns vor Flut und Brand.
Herr, dem wir treu gehören wollen,
Du hast die Welt in Deiner Hand.“

 

… so heißt es in einem alten Berggebet aus dem Erzgebirge, hier direkt an den allmächtigen Gott selbst gerichtet.

Vielfach wurden Berggebete an die Berufspatrone der Bergleute adressiert, überwiegend in neuerer Zeit an die Heilige Barbara.

Barbara von Nikodemien war der Überlieferung zufolge eine Märtyrerin im 3. Jahrhundert. Da sie sich der Anordnung ihres heidnischen, tyrannischen Vaters wiedersetzte, sich vom christlichen Glauben abzuwenden, flüchtete sie und fand der Legende nach Zuflucht im sich auftuenden Berg, bei den Bergleuten unter Tage eben – daher kommt der Bezug. Durch Verrat wurde sie entdeckt und durch die Hand ihres eigenen Vaters hingerichtet, den daraufhin umgehend der Blitz traf – so die Kurzfassung einer Version der Überlieferung.

 

Liebe Gemeinde,

Nach unserem evangelischen Glaubensverständnis ist die Verehrung Schutzheiliger nicht üblich, dennoch ist Barbara auch im evangelischen Namenskalender als Märtyrerin gelistet (neben z.B. auch Nikolaus) und muss hier einmal Erwähnung finden, da sie vor Allem in der bergbaulichen Tradition aber auch im Alltag der Bergleute – bis heute – eine wichtige Rolle einnimmt. Das Brauchtum der Barbaraverehrung brachten schlesische Bergleute in die deutschen Bergbauregionen. Der relativ junge Steinkohlenbergbau im Ruhrgebiet hatte zu der Zeit noch keine eigenen Traditionen, und man erhoffte sich vom Barbara-Brauchtum ein Element, das die heterogene multikulturelle und multireligiöse Bevölkerung verbinden könnte. Dazu wurde die heilige Barbara als säkulare Schutzpatronin aller Bergleute interpretiert, egal welcher Herkunft.

 

Aktuell haben wir im Saarland vor zwei Tagen, der Umsetzung des Grubenwasserkonzeptes Rechnung tragend, das Grubengebäude auf dem Bergwerk Reden endgültig verschlossen. Die letzte Grube im Saarland, für uns Bergleute immer ein wehmütiger und emotionaler Moment, wenn ein Bergwerk fortan unwiderruflich nicht mehr zugänglich ist.

Zu Betriebszeiten – eben bis vor 2 Tagen – war eine Barbarastatue unter Tage zugegen, die einen speziell ausgewählten, zentralen Platz im Grubengebäude hatte. Es gab immer einen Barbara-Beauftragten, der dafür Sorge zu tragen hatte, dass wöchentlich frische Blumen an der Barbarastatue niedergelegt wurden. Das wurde sehr ernst genommen. Der letzte Beauftragte hieß im Übrigen Faruk, er ist Türke. Wäre die Barbara einmal „abhanden“ gekommen, die Männer wären umgehend aus der Grube ausgefahren.

Und so hat es sogar die saarländische Bergbehörde zur bergrechtlichen Auflage in einer Nebenbestimmung der Betriebsplanzulassung für den untertägigen Rückzug gemacht, dass die Barbarastatue als allerletztes die Grube verlässt, eben mit dem letzten Ausfahren aus der Grube durch die Grubenwehr. So war es auch.

Barbara – eine christliche Figur, die als ein Verbindungselement von Bergbau und Glaube den Gemeinschaftsgedanken der Bergleute verstärkt hat – warum nicht!

 

Liebe Gemeinde von Hilgenroth,

Der Bergbau und die Bergleute haben viele Jahrhunderte lang unsere Regionen geprägt. Ihre Werte, ihr Verständnis von Gemeinschaft und Arbeit haben die Biografien vieler Menschen beeinflusst und ihnen – glaubensunabhängig – Orientierung gegeben. Mut, Verantwortung, Hilfsbereitschaft, Zusammenhalt, Gerechtigkeit und auch Gottesfurcht sind bergmännische Werte mit bewährter Tradition. Und die braucht unsere Gesellschaft heute dringender denn je.

Werden doch aktuell wieder Unwörter wie „Remigration“ von rechtsgerichteten Parteien geschaffen und propagiert oder die Parole – „Alle abschieben“ – in Parteiprogrammen verankert und lauthals öffentlich zu Popsongs gegrölt und über die sozialen Medien verbreitet. Darüber hinaus tobt nicht weit von hier – in Europa! – ein hässlicher Krieg, in dem es um Machtansprüche und Kontrollbestreben geht. Oder im Nahost-Konflikt, wo Menschen aufgrund ihrer religiösen Gesinnung verfolgt werden und nahezu ein Religionskrieg ausgetragen wird – in einer Region der Welt, die historisch gesehen noch nie zur Ruhe kam. Oder Kandidaten sich zur Präsidentschaftswahl anmelden, die mehr Dreck am Stecken haben, als ein Bergmann jemals in seinem gesamten Berufsleben auf der Haut zu tragen vermochte.

Ein wenig erschreckend, wie ich finde, nichts gelernt aus dem Gewesenen, und von daher passt der Inhalt meiner Ansprache ganz gut zur aktuellen Weltsituation, um zeigen zu können, dass es in der Welt der Bergleute auch anders geht. Nämlich unter Beachtung und durch Orientierung an gewissen Kernwerten – ganz so, wie es ein Mann bereits vor über 2000 Jahren gepredigt und gelebt hat.

 

Der dominierende Wert, der die Gemeinschaft der Bergleute ausmacht und der von ihm ausgestrahlt, ist das Prinzip der Solidarität. Die Bergleute waren bei ihrer körperlich schweren und gefährlichen Arbeit unter Tage bedingungslos aufeinander angewiesen. Das hat viel mit Verlässlichkeit und gegenseitigem Vertrauen zu tun. „Ohne Deinen Kumpel schaffst Du es nicht. Ohne Deinen Kumpel, egal, wo er herkommt, egal welche Religion oder Weltanschauung er hat, egal, wie er lebt oder welche Sprache er spricht, ohne Deinen Kumpel kommst Du nicht heil raus.“

Bergbau ist eben nicht eines Mannes Sache. Man könnte von einer gewissen Schicksalsgemeinschaft der Bergleute sprechen – einer Gemeinschaft – einer Gemeinde.

Dazu gehört auch eine ausgeprägte Integrationskompetenz und Toleranzbereitschaft, denn unter Tage war ja quasi jeder ein „Fremder“ und angesichts des unablässigen Zuzugs neuer Arbeitnehmer (Gastarbeiter), vor allem in den Nachkriegsjahren, war dies überlebenswichtig für die Solidargemeinschaft der Bergleute – und nicht zuletzt für die Wirtschaft – auch deshalb geht es uns heute gut!

Unter Tage sind alle schwarz! Die Kohle in den Gesichtern der Männer lässt keine Hautfarbe, Bildung, nationale Herkunft, politische oder religiöse Gesinnung durchscheinen. Unter Tage gibt es keine Ausländer, nur Kumpel!

 

Liebe Gemeinde,

Aus den Arbeitsverhältnissen unter Tage resultierte, nicht zuletzt aufgrund eines hohen Lärmpegels Vorort, aber vor allem auch aufgrund sprachlicher Barrieren zwischen den Bergleuten unterschiedlicher Nationalitäten, die Notwendigkeit einer nahezu proletarischen Direktheit. Vor Allem im Ruhrgebiet entstand so über mehrere Generationen ein eigener Jargon der Bergleute, der bis heute die Alltagssprache maßgeblich beeinflusst.

Kurze Kommandos und unkomplizierte Ansagen: „Gib‘ ma Mottek!“ – das ist unter Tage eindeutiger und schneller zu verstehen als „Würdest Du mir bitte einmal den großen Hammer anreichen“.

In meiner Erfahrung, damals als Fahrsteiger unter Tage auf dem Bergwerk Auguste Victoria, verantwortlich für drei Vortriebskolonnen mit insgesamt acht Nationalitäten unter den Bergleuten, hat sich die gelebte Toleranz untereinander auch durch einen gewissen „flapsigen Humor“ ausgedrückt, der Teil des Arbeitsalltags war. Sich selbst und die eigene Herkunft oder Gesinnung nicht zu ernst zu nehmen, ist Teil des Gemeinschaftsverständnisses der Bergleute:

 

Bitte nicht erschrecken: Eine kurze Szene aus dem Streckenvortrieb unter Tage (in Ruhrgebietssprache):

Aufträge des Kolonnenführers bei Schichtbeginn Vorort, der Ortsälteste im Streckenvortrieb teilt die Arbeit ein:

„Ey, Osam, bring schon ma dat Mopped mit die Baue vorort!“ (Mopped = druckluftbetriebene Laufkatze, Transportmittel, Baue = Eisenträger für den Ausbau)

„Der Luftschlauch ist kaputt, muss ich erst reparieren!“

„Jo, mach fettich!“

„Mopped is auch kaputt – ich hab mich schwarz geärgert!“, sagt Osam (Osam ist aus Ghana = er ist schwarz) (Transportmittel kaputt heißt gleichzeitig: alle packen mit an und schleppen die Baue von Hand nach vorne).

„Rafal! Hol den Bohrhammer!“

Rafal: „Jaja, ich bring 2 mit, ich bin ja Pole, einer ist ja sonst kaputt oder weg…!“

„Ey, Bülent! schneid dat Schießkabel schon mal ab für den nächsten Abschlag!“

„Hab kein Messer!“

„Ein Türke ohne Messer, bibbet doch gar nich!“

„Und Werner: Gehse anne Bandübergbae, wie immer!“ (Werner war Deutscher, er konnte nicht lesen und schreiben, hat sein Leben lang Bandübergaben freigeschüppt. Aber er hatte seine Bestimmung und war fester Teil dieser Kolonne. Er war wichtig für den Gesamterfolg der ganzen Mannschaft und stand, als „schwaches“ Glied in der Kette (heute würde man sagen: potenzielles Mobbingopfer), unter dem Schutz aller – gelebte Wertschätzung und bergmännische Gemeinschaft eben.

 

Liebe Gemeinde,

Sie mögen entsetzt sein angesichts derartiger Ansprachen untereinander, alle Klischees in einem bergmännisch kurzen Dialog abgearbeitet. Ich will das auflösen und kann versichern: Das war gelebte Kommunikation unter Tage.

Hier wäre niemand beleidigt oder gekränkt gewesen. Zwischen diese Männer hätte kein Blatt gepasst – sie haben viel gelacht, gemeinsam Schnupftabak genommen und sich nach der Schicht in der Kaue gegenseitig den Rücken geschrubbt – Buckeln nennt das der Bergmann. Die Höchststrafe wäre gewesen, diese Kolonne zu zerschlagen und auf andere Orte zu verteilen. Sie waren über Jahre hinweg zusammengewachsen – alle gleich, und doch alle einzigartig.

Hier gilt es, auch als zuständige Führungskraft diesen Zusammenhalt wertschätzend aufrechtzuerhalten und zu fördern, denn daraus erwächst ein produktives und vor Allem sicheres Arbeitsergebnis.

 

Liebe Gemeinde,

Die Männer dieser Kolonne haben Zusammenhalt und Gemeinschaft gelebt. Herkunft, Bildung und Gesinnung hatten unter Tage keine Bedeutung. Die Unvoreingenommenheit gegenüber dem Fremden, das Gemeinwohl vor den Eigennutz zu stellen, das Ziel des Arbeitsauftrags vor Augen, gepaart mit einem gewissen Maß an Pragmatismus und Veränderungsbereitschaft – das ist für die Zukunft wichtig und erhaltenswert.

Die Führungsphilosophien eines wertschätzenden und kommunikativ offenen Umgangs miteinander sind – bedauerlicherweise – erst neueren Datums.

Es ist nicht schönzureden, dass es auch Zeiten gab, gerade zur Zeit des enormen wirtschaftlichen Aufschwungs mit entsprechendem Leistungsdruck, in denen einzig die Arbeitskraft als solche zählte, und nicht der Mensch dahinter. Gerade in stark hierarchisch geprägten Unternehmen, wie im Bergbau, wird in der Vergangenheit von nahezu menschenunwürdigen sozialen Bedingungen berichtet. Wer am lautesten schreit, hat Recht und bekommt seinen Willen, ausschließlich die Produktion und positive Erfolgsmeldungen gegenüber den Vorgesetzten werden akzeptiert und führen zur Honoration.

Die „einfachen“ Bergleute hat das allerdings immer noch enger zusammengeschweißt. Je schwieriger die Bedingungen – und die gab es sehr oft (z.B. Streckenbrüche, technische Ausfälle der Maschinen usw.), desto größer war der Zusammenhalt untereinander.

Mein Kumpel und Freund Frank, kürzlich zum Apostel in der neuapostolischen Kirche aufgestiegen hat immer gesagt: „Bei allem Gehorsam gegenüber der Obrigkeit, denk immer dran: Da ist immer noch einer weit darüber!“

 

Erst mit dem Aufkommen eines Bewusstseins für Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz und auch Umweltschutz – im Steinkohlenbergbau Anfang der 1970er Jahre – und damit eigentlich relativ spät, angesichts einer jahrhundertelangen Abbauaktivität, hielt auch die Menschlichkeit Einzug in den Arbeitsalltag der Bergleute.

Sicherheit wurde zunächst gleichwertig, später über die Produktionsziele gestellt. Fortan stand der Mensch mit seiner gegebenen Arbeitskraft im Vordergrund, und nicht die Arbeitskraft mit dem anhänglichen Menschen.

Dies beinhaltete auch beispielsweise die Rücksichtnahme auf die Zeiten des Ramadan, in der muslimische Kumpel aufgrund des Fastens zur Tageszeit nicht ihre volle Leistungsfähigkeit entwickeln konnten. Niederschlag hat das gefunden in den Produktionsplänen, die monatlich zur Vorschau des Betriebsergebnisses erstellt wurden. Geringere Leistungsansätze wurden hier von vornherein angesetzt.

Liebe Gemeinde,

Im Steinkohlenbergbau im Ruhrgebiet wurde seit dem Beschluss zum Kohleausstieg ein bislang weltweit einzigartiger Personalabbauprozess eingeleitet. Über 80.000 Bergleute – von einst über 500.000 – wurden in den Frühruhestand versetzt (mit teilweise 49 Lebensjahren) oder in andere Arbeitsverhältnisse vermittelt. Die Gewerkschaften, die montane Mitbestimmung und auch die Kirchen haben einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, dass dies gelingen konnte – kein Bergmann ist ins „Bergfreie“ gefallen, um jeden einzelnen wurde sich individuell gekümmert – auch das ist Solidarität!

Wenn Sie heute einen bereits im Ruhestand befindlichen Bergmann fragen: Was würdest Du machen wenn Du nochmal auf die Welt kämest? – sie werden immer die gleiche Antwort bekommen: Nur wieder Bergmann!

Und das bezieht der Gefragte eben nicht auf die Prozesse, die Technik und den immer erhaltenen Lohn, sondern auf eben diese einzigartige Gemeinschaft der Bergleute untereinander, basierend auf den gelebten bergmännischen Werten, auch über hierarchische Grenzen hinweg.

 

Liebe Gemeinde von Hilgenroth, ich möchte zum Schluss kommen,

Es sollten nicht die alten Fördertürme, Lohnhallen, Werks- und Betriebshallen Gegenstand unseres kulturellen Erbes für die Zukunft sein, sondern eben diese uralten gewachsenen bergmännischen Werte, die das Miteinander, die Toleranz, die Verlässlichkeit und die gegenseitige Akzeptanz und Fürsorge der Bergleute untereinander propagiert und gelebt haben, ganz im Sinne unseres christlichen Urverständnisses des Zusammenlebens aller Menschen – Gemeinschaft schafft Gemeinde.

Die Gemeinschaft der Bergleute hat dies gezeigt. Gemeinde ist lebenswichtig!

Mögen diese Vorstellungen fortbestehen und zu einem friedlichen Zusammenleben auf der Welt beitragen – das ist gerade aktueller denn je. Wir brauchen keine fremdenfeindliche Politik und schon gar keine Kriege. Unsere Altvorderen wie auch die Bergleute heute leben dies vor, herkunfts-, bildungs- und glaubensübergreifend. Möge diese Erkenntnis Bewahrung und Beachtung finden für eine friedliche Zukunft.

In diesem Sinne, ich danke fürs Zuhören.

Bleibt behütet, „üwwer wie unner der Eerd“ – und Gott befohlen!

 

Ein herzliches GLÜCKAUF!